‹‹‹ Nummer 3 - EXZESS
 
 
Dekalog (EXODUS 19 und 20)
Rutschbahn oder: Phänomenologie der Freiheit
Gilles Clamens, Übersetzung: Marion Sanchez Munoz

"Und es scheint mir, es gibt da etwas in Gott,
daß seinen Ruhm in der Stumpfheit der Weisen,
im Untergang der Mächtigen
und in der Aufrichtung der Einfachen und Ergebenen sucht."

RABELAIS

Kommen wir zu den ernsthaften Dingen. In der Wüste das Gebirge, im Sinai der Sinai. Im Kind, durch das Kind und für das Kind: der Mensch. Oh Terror, oh Beben, oh Furcht. Besser wäre es vielleicht zu schweigen, diese Texte ihrem fossilen Dasein, ihrer psalmodischen und bildervehrenden Zwangsjacke zu überlassen.

Mit dem Dekalog ist es wie mit der Münze oder der Banknote: Man bedient sich seiner ohne nachzudenken, zu sehen, zu hören, zu verstehen. Wozu auch Dinge in Frage stellen, die auf der Hand liegen. Raffen wir diese Worte zusammen wie Geldscheine, bringen wir sie unter die Leute, machen wir unsere Schecks daraus: Wir alle brauchen einen Bonus. Unsere Moneten sind uns heilig. Warum etwas in Frage stellen, ohne das ich mich in nichts auflöse. Die "zehn Gebote"? Es geht nicht darum, sie vor Augen zu haben, sondern ihnen zu gehorchen. Geld stinkt nicht, aber die Art, wie wir es unter die Leute bringen.

Eine Heldentat von heute: Die ersten Zeilen des Dekalogs mit ihrem Paukenschlag und ihrem Donner lesen. Warum eine Heldentat? Weil der Dekalog ohne wenn und aber ist, und die Metamorphose des Gelds ausgehend davon nuanciert werden muß. Ich gehorche den Marktgesetzen nur, weil ich sie kenne. Banker oder Mafioso, Dieb oder Rechtschaffener, wir alle kennen diese Gesetze, und - wie schon gesagt - jeder Einzelne bedient sich ihrer. In diesem Sinne sind diese Gesetze weitestgehend überholt: Unsere modernen Gesetze sind weitaus sicherer, präziser, unsere Gesetze sind ganz einfach "gesetzlicher".

Dies gilt auch für die Mehrzahl der vorgeblichen "Gebote": Dieser etwas eifersüchtige und so barmherzige Gott, diese biederen und sittsamen Mahnungen vor den Idolen, dieses errötende Schamgefühl, den grölenden Ausruf im Namen Gottes am Tresen zu vernehmen, und nicht zu vergessen die erbärmlichen Sorgen des reichen Besitzers, dem entfallen ist, daß es neben dem Diebstahl andere Übel gibt … , all das ist natürlich ganz nett. Aber wenn wir das Kind in uns lieben, dann um ihm Adieu zu sagen. Gott sei mit dir, wir sind erwachsen geworden. Und wir lesen diese Texte wie Erwachsene, ohne uns damit zufrieden zu geben, in ihnen irgendeine Gesetzgebung für die kleinen und "großen" … Besitzer zu sehen, sofern wir beim Lesen nicht in diese Richtung gedrängt werden, … auch wenn wir das ganze Geschwafel nicht wirklich ernst nehmen.

Hören wir auf mit dem Geschwafel: Umgehen wir die Chronologie, um 20 vor 19 zu lesen, und lesen wir die fünf letzten und wohl redundantesten "Gebote" vor den fünf ersten. Was lesen wir, wenn wir das Geschwafel beiseite lassen? Was lesen wir unter Vernachlässigung dessen, was wir bereits wissen?

Der Gold- und Dollarrausch der vier letzten Worte (20, 14 bis 17): Gelächter. Man sagt uns, eben das nicht zu tun, was offensichtlich zum Alltag gehört. Heiliger Gott, wie komisch. Ehebruch, Diebstahl, Falscheid und Gier: lächerlich. Warum nicht gleich dem Esel sagen "Laß dein Iah"!! Da haben wir ihn, den Esel, ganz zum Schluß und mit einem Nachdruck, der uns warnen sollte. Der Esel, vorletztes Glied der Kette Frau-Diener-Dienerin-Rind-Esel-Eigentum … des Nachbarn. Aufzählungen in der Bibel sollte man mehrmals lesen. Wenn der Dekalog sich auf diese törichten "schönen Worte" beschränkt, diesen tranigen oder dummen Moralismus, dann sollten wir ihn nicht lesen, sondern es allen andern gleich tun: Ihn unseren Haustieren zum Fraß vorwerfen. Und die Erde dreht sich weiter. Wir aber, Weltmenschen, Kampfhähne oder Adler, sollten die Finger davon lassen.

Ist das "sechste" Gebot (20,13) nicht belustigend? Wie das Gold und die Räuber, aber so etwas kennen wir zur Genüge. Wir sind eine Mördertruppe, die man meiden sollte: Das ist bekannt. Aber natürlich "ist es nicht richtig", sich gegenseitig zu töten, oder sollte man den Löwen nochmals bitten, auf vegetarische Kost umzusteigen? Eine ausgeglichene Diät, einige Ernährungsratschläge können für junge Löwen die Erlösung bedeuten, aber wir haben andere Sorgen und keine Zeit zu verlieren. Gesetzgebung und Ernährungsgewohnheiten haben beträchtliche Fortschritte gemacht. Belassen wir es dabei, und vergessen wir diesen kindischen Kram.

Was aber lesen wir in den fünf ersten Geboten, wenn wir die herkömmliche Reihenfolge einhalten, die aus 20,3 das erste Gebot macht? Überraschenderweise ist der simple Moralismus hier nicht mehr spürbar, keine listige Wirtschaft für fette Besitzer, keine beißende Ironie zwischen den verzierten und schwatzhaften Zeilen, keine bizarre Ableugnung. Natürlich würden uns einige akrobatische Interpretationsübungen auch hier zu einem abgeflachten Katechismus führen. Ach diese gutgemeinten Predigten um das Auto, den Erfolg, den Konsum, … als Idole! Aber der Text beeindruckt vor allem durch die unerwartete Sorgfalt, durch ein spürbares Ungleichgewicht. Diese drei Verse (8 bis 11) widmen sich voll und ganz dem Sabbat, jene drei Verse (4 bis 6) widmen sich der Bilderverehrung. Das Gute und das Böse: Eben das wird hier seltsam und in einer manischen Art und Weise, an die wir uns ja bereits gewöhnt haben, kommentiert, entwickelt, erklärt. Und dann diese Aufteilung der "Ja" und der "Nein", auf die mit den fünf letzten Worte verzichtet wird, indem sie sich für das "Nicht" entscheiden. Nein zu jedem anderen als Ihm, nein zur Bilderverehrung und nein zur Banalität des Namens Gottes, aber ja zum Sabbat und ja zum ausdrücklich als solches verstandenen elterlichen Paar, schützende Eltern, eher Beschützer als Erzeuger. Wir haben also kaum noch etwas zu lachen. Ist das besser? Es ist schlimmer, leider.

Wie nicht von der plumpen Betonung dessen, was sich von selbst versteht, erdrückt werden? Bild und Vorstellung, Eifersucht und Barmherzigkeit, feige Aussparung des Namens Gottes, nicht enden wollende Verse über den Sabbat, in denen man noch diese bizarren, zwanghaften Aufzählungen (weder du, noch dein Sohn oder deine Tochter, … wie weiter oben der Himmel, die Erde, das Meer, …) psalmodiert. Dieser Schwerfälligkeit scheint auch der biedere kleine Vers 12 nicht zu entgehen, der vor allem gefällt, weil er kurz ist - und natürlich sind wir uns einig: Papa und Mama sind toll. Alles in allem aber die Frage, wofür diese offensichtlichen Aussagen gut sein sollen, auch wenn sie die fünf folgenden aufwiegen? Aus welchem Grund haben diese Worte flammende Begeisterung hervorgerufen? Auch wenn sie der Idolatrie vorbeugen, einige Befürchtungen hinsichtlich des übermäßigen Gebrauchs des Namens Gottes hervorrufen, an den freudigen Festtag des Lebens erinnern, die Autoren unserer Zeit krönen - sind auch sie für Kinder bestimmt.

Und wir, die diese Texte erträumen und sie vertrauensvoll als "ernsthafte Dinge" betrachten! Bewaffnet mit unserer eigenen Anerkennung auf dem dürren Boden der Gesetzgebung, machen wir uns zitternd auf den Weg, vom Kind zum Menschen, von der Sinaiwüste zum Sinaigebirge, von den Gesetzen zum Gesetz, von den schon harten Regeln zum beeindruckenden Prinzip, vom Profanen zum Geweihten. Aber nein: Halten wir uns am Dekalog fest. Das Netz des Pseudowissens gespannt, fallen wir hinein: rohe Bewachung, fromme Vorsicht Vorhaltungen … ebensoviel Worte in kindlicher Regression. Regression für Regression kommen wir also zum Kapitel 19, um nicht auf dem Gewissen zu haben, was bisher die traurige Wahrheit ist. Was liest man hier?

Es wird hitzig. Und diesmal gehen wir aufs Ganze: Regression ist angesagt, Wüste und Berg, ehrwürdig wie erwartet, werden zur Achterbahn mit Hitzkopf Moses obenauf, der hoch- und runterfährt, wie eine Marionette an einem Faden geführt wird und dem eine Stimme von oben zuruft, damit er nach unten weitergibt, was sich hinter einem Rauchschleier und dem tosenden Gepolter verbirgt. Wir haben auf die Offenbarung gehofft aber finden eine Rutschbahn vor, und der Text macht vor unseren Augen einen geräuschvollen Satz. Wir hätten aufpassen sollen: Die lächerliche Rutschbahn hatte sich listig in diesem Sinai, gleichwohl profane Wüste wie geweihtes Gebirge, verborgen. Hätte uns die gewitzte Redundanz schon eher aufhorchen lassen, wäre uns die enttäuschte Wut über den Dekalog erspart geblieben.

Nun scheint man sich aber endlich unserer Sache anzunehmen. Es lebe die Anarchie. Ohne Gott und Meister. Wenn der Inhalt der Gesetze nichts weiter ist als dieses lärmende Durcheinander, dieser Ramsch, diese Reklame für Gimpel, dieses "Sand in die Augen streuen" für Gaffer, und wir sie nicht für das nehmen, was sie sind und was wir sind, dann sind wir kaum zu retten: Schafe in guter Obhut. Bereit, vor der Offenbarung des SEINS auf die Knie zu gehen, HABEN wir uns an der Nase herumführen lassen.

Sollten wir uns für ein nochmaliges Lesen entscheiden - und Gott weiß, daß wir glauben, diese Texte bereits Tausend Mal gelesen zu haben - sollten wir uns noch nicht zufriedengeben, dann nur aus dem einfachen Grund, daß wir uns als widerspenstige Leser nicht an der Nase herumführen lassen wollen. In wessen Namen? Kaum der Rede wert: Wenn sich der Text erschöpfend behandeln ließe, hätte dieser Skandal kaum mehr als zweitausend Jahre angehalten. Und auch wenn er objektiv wäre, würde die (nach Meinung der Gelehrten neurotische) Regression (wir sind nunmehr in der Lage, die Ursachen und Wirkungen, die Quellen und Symptome zu analysieren) nicht lange den Platz der "Religion" einnehmen, sofern man sie nicht als eine vulgäre Beute des Psychologen betrachten will. Wenn das Fundament und die Begründung des Gesetzes nur diese "Tiefe" hätte, deren theoretische Basis die Gesellschaftswissenschaften nunmehr erforschen, wenn das Gesetz der Welt sich einzig in wissenschaftlichen Gesetzen ausdrücken ließe, hätten Lehrsätze und Gleichungen, Hypothesen und Experimente sich diese Texte seit langem zu eigen gemacht, um ihren Sinn in der kühlen Chemie der gelehrten Aufklärung aufzulösen. So geschieht es im übrigen häufig. Aber die Religion erklärt sich in der Zwangsneurose des Menschen, und belassen wir es dabei. Die Zukunft einer Illusion ist für uns so unbedeutend wie die Leere, die sie verbirgt, wie jede Illusion. Hier sprechen wir weniger von der Religion, hier lesen wir sie ganz einfach, … um zu verstehen.

Hartnäckige Leser, wenn es sie noch gibt! - Was haben wir neben dieser Wahrheit der Wissenschaft noch zu sagen? Den wahren Inhalt des Textes, nachdem wir ihn zum x-ten Mal gelesen haben. Auch wenn die Begriffe Regression (19) und Ableugnung (20) immer wiederkehren, läßt sich daraus kein Gesetz machen. Die Regression ist einzig im physikalischen und chemischen, kurz gesagt psychologischen Sinn ein "Gesetz". Die Ableugnung ist einzig im polizeilichen oder wirtschaftlichen, kurz gesagt ideologischen Sinn ein "Gesetz". Aber (psychische) Gesundheit und (zivile) Sicherheit können unser so sehnsüchtig erwartetes Gesetz nicht begründen, dieses höchste oder souveräne Fundament, das wir unlängst Freiheit nannten (siehe "Hundeleben"). Gesundheit und Sicherheit sind einzig "Bedingungen" für die Freiheit und keineswegs ihr Fundament. Wie also aus diesen Texten herausholen, was sie wirklich aussagen, wie sie lesen?

Um genau zu antworten, sind es ganze vier Verse: 19,24-25 und 20,1-2. Das heißt der verblüffende Hiatus, mit dem Furcht und Zittern lehrreich dargestellt werden sollen. Es wurde an alles gedacht, um vom Zuhören (dieses Gesetz der Kinder) zum Verstehen (dieses Gesetz der Menschen) - die beiden Pole des ersehnten Bündnisses (19, 5) - zu gelangen. Was liest man folglich zwischen der Vorbereitung und dem Gebot, zwischen dem Aufrichten der Waffen und dem Schießbefehl. Was liegt zwischen den ordentlichen Gesetzen und dem außerordentlichen Gesetz, dem Begründeten und dem Begründenden? Ein Witz, in dem wir das Geheimnis des Gesetzes, den versteckten Sinn des offensichtlichen Unsinns, das Geweihte der Freiheit finden wollen.

Zuerst der Witz: Der Ewige führt Moses an der Nase rum, als ob der Puppenspieler plötzlich nicht mehr auf seine Fäden vertraut. Bei allem Respekt ist davon auszugehen, daß der Ewige lügt: "Du steigst anschließend mit Aaron hinauf". Eine kleine Lüge: Eine nicht eingetretene Vorhersage oder ein nicht gehaltenes Versprechen. Der Ewige greift in der Bibel auf eine Reihe anderer solcher Versprechen zurück (fragen Sie Jonas), aber wenn man Gott heißt, kann man sich solche Phantasien leisten…? Und die Freiheit ist der Witz überhaupt. Was ist ein Witz. Ein ganz persönlicher Augenblick, den man dem anderen mitteilen will, wenn der überhaupt zuhört - wozu ihn schließlich keiner zwingen kann. Beim Anblick des Dekalogs in Lachen auszubrechen, ist vielleicht gar keine schlechte Lösung, wenn frei sein heißt, über sich zu spotten, wenn die wahre Moral über die Moral herzieht und das Gesetz sich über die Gesetze hermacht.

Dann das Geheimnis: Die dreifache Redundanz von 20,1 zeigt, dass der Zirkus, die Kindheit vorbei sind, wir uns aber mit unserer Neurose noch nicht in Sicherheit wägen können. Wir folgen dem "Wort", und alles davor und danach ist nur das Nest. Plaudern, Reden, Aussprechen: Allein, ohne Volk und ohne Chef, kann das Gesetz sich durchsetzen. In aller Stille? Nicht wirklich: Wir haben gesehen, dass es von allen Seiten Worte hagelt, und das Echo ist bestimmt noch nicht verhallt. In der Leere? Auch nicht: Der Sinai, massiver Felsen, an dem Moses und die Feuerglut noch spürbar sind, richtet sich auf. Und nun? Nicht Stille oder Leere sondern Verstecken und Schweigen… wie vor der ihres Einflusses sicheren Obrigkeit - ob aus Furcht (das Volk und das Kind) oder Berechnung (der Chef, die Menschen) - förmliche Zeichen der Hörigkeit. Was kann sie schon tun, die Obrigkeit, angesichts der Gefahr, nicht gehört zu werden. Wie lautet ihre Botschaft, bei der Inhalt und Form miteinander verschmelzen? Sie sagt uns, wer Ist - dieses Geheimnis um den geheiligten Inhalt des Gesetzes, diese existentielle Grundlage, wenn Sein nicht Geburt und Leben ist. Sie sagt uns, was ist und was folglich die Knechtschaft beendet . Nun endlich ergeben wir uns: Das Gesetz ist im Prinzip die Freiheit. Wie das?

Geboren werden: In der Wüste der geborenen Kinder aufwachsen, vierzig Jahre herumirren, um sich geduldig zwischen Launen und Lehren, zwischen Gewalt und Genuß in der Schule der Gesetze zu bilden. Und wir müssen sterben. Oder den Tod fürchten. Geboren werden = Lebensgefahr (19,12-13-16-18-22-24), entschleierter Sinn der unerträglichen Lehre Amaleks. Leben: Sich den klaren Bedingungen des Habens unterwerfen, die dauerhaft sein sollen, Haben dieser Güter, die durch das Vertrauen und die gegenseitige Glaubwürdigkeit zu schützen sind. Dollar, das wissen wir: "in God, we trust". Eltern, das wissen wir: Beschützer, um weiter leben zu können. Regression und Ableugnung ergeben damit einen Sinn: Wenn es darum geht, geboren zu werden und zu sterben, zu leben und gut zu leben, wenn es also einzig um das Arbeits- und Zugtier geht, dann gibt es nur Gesetze und kein höheres Gesetz, dann gibt es keinen Sinai sondern einen Berg, dann gibt es keinen idealen Mensch sondern Menschen, dann gibt es keinen idealen Gott sondern Gott - nur die Litanei und die Liturgie dieser Gesetze, denen die Kinder eher gezwungenermaßen und nicht aus Vernunftgründen folgen und die Menschen aus Vernunftgründen und nicht mir ihrem Herz gehorchen.

Aber das Gesetz als Herzstück der Existenz, der des wahren Menschen, des wahren Gottes, sag das dem Leser dieser Texte. Es gibt keinen wahren Gott sondern den Befreier, keinen wahren Mensch sondern den Befreiten und kein anderes Gesetz als die Freiheit.

Und eben darum war die Enttäuschung notwendig, mußte das Volk den Jahrmarktsrausch hinnehmen und Moses sich anderswo herumtreiben. Eben darum wurde nochmals zu der List "du tust nicht, was du unaufhörlich tust und woran dich niemand wirklich hindern kann" gegriffen, während man das Erlaubte nicht an die große Glocke hängt, um die Ruhe der Gesellschaft nicht zu stören. Was ist die Freiheit also, wenn nicht dieser Begriff, der nicht sagen kann, was zu tun ist, ohne sich in Widersprüchen zu verstricken? Er sagt höchstens aus, was bereits üblich ist und ordnet den Rest dem willkürlichen "Nichttun" unter. Dies ist das Verbot, in die Enge getrieben zwischen Kind und Mensch, dies ist die Obrigkeit, die nichts taugt - und ohne die nichts etwas taugt. Was zu beweisen ist, steht neben Ungeheuerlichkeiten und Vorhaltungen in diesen Texten.

Bergerac, 1990

Gilles Clamens: gilles.clamens@wanadoo.fr
Marion Sanchez Schrader: marion.sanchez-munoz@wanadoo.fr

 

   
"Denn die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam; aber wo kein Gesetz ist, da wird Sünde nicht angerechnet."
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