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Nummer 2 - Territorium

 

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"Und es sind nicht nur die äußeren Feinde, die mich bedrohen. Es gibt auch solche im Inneren …"

Territorium Solaris
Terra-Verlust als Agonie in ‚Solaris'
Robert Seyfert

"Nicht um am Ziel zugrundezugehen kam ich von so weit hergeflogen."
(Stanislaw Lem: Solaris)

Ich möchte Lems Text aus der Sichtweise lesen, dass der Mensch notwendigerweise in einen Todeskampf (agonie) gerät, sobald er nicht mehr in der Lage ist sich zu territorialisieren, d.h. spezifisch menschliche (oder erdähnliche) Lebensstrukturen in einer ‚fremden Welt' wiederfinden oder wiedereinführen. Das betrifft dabei nicht biologische, physische oder sonstwie geartete ‚natürliche' Bedingungen.
Der Irrtum wäre anzunehmen, man könne als Mensch losgelöst von dieser Erde eine neue Terra suchen, bzw., besiedeln. Ein Streben in ‚unendliche Weiten' des Kosmos darf nicht nur die Bedrohung durch die Kontingenz, durch das Unvorhersehbare beachten, sondern muss sich die notwendige Erdverbundenheit des Menschen bewußt machen. Denn dem Menschen besteht nicht die Möglichkeit der Entdeckung des Kosmos, ihm besteht nur die Möglichkeit der Ausdehnung der Erde ins Unendliche.

Die tatsächliche Entdeckung eines unbekannten Kosmos bleibt eine Illusion, denn entweder gelingt es uns, den fremden Kosmos auf unsere Art neu zu territorialisieren - nach dem eigenen Erdenmaß - oder es gelingt nicht und wir kommen erfolglos zurück Es gibt allerdings noch eine dritte Möglichkeit, nämlich, dass der andere Kosmos selbst zu einer Territorialisierungsbewegung imstande ist. Das manifestiert sich uns dann als unser eigener Todeskampf - die beständige ‚Agonie' in Stanislaw Lems ‚Solaris'.
Versuche dieses Zugrunde-gehen-können darzustellen, offenbaren sich in futurologischer Literatur des polnischen Schriftstellers. Oft stellt man dessen ‚Solaris' - Verfilmung von Tarkowski in eine Reihe zur 10 Jahre früher erschienenen Odyssee im Weltall - 2001 von Kubrick.(1)

Meist wird mit dem Wesen auf dem Planeten in ‚Solaris' auch Gott assoziiert. Und selbst eine Deutung ohne diese Gottheit, impliziert dann eine schöpferische Kraft des Menschen, die stets wieder auf die Erdverbundenheit verweist. Stanislaw Lem lässt dann in seinem Roman das Wort ‚Spiegel' oder ‚Verstärker' auftauchen, um darauf zu verweisen, dass die externe Manipulation durch den Ozean durchaus auch menschliche Phantasmen sein könnten. Das Ozean-Wesen als übermächtige Kraft, die die Kontrolle über den Menschen übernommen hat, oder als zufällige Feedbackschleife menschlicher Psyche, in der sich der Mensch nun selber immer wieder begegnet.

" ... ein Dilemma, das wir nicht zu lösen verstehen. Wir stellen uns selbst nach. Die Polytheria(2) haben nur etwas wie einen selektiven Verstärker unserer Gedanken angewendet. Nach einer Motivierung für dieses Phänomen zu suchen, ist ein Anthropomorphismus. Wo es keine Menschen gibt, dort gibt es auch keine menschlich faßbaren Motive. Um im Forschungsplan fortzufahren, müßten wir entweder die eigenen Gedanken vernichten, oder deren materielle Verkörperung. Das eine liegt nicht in unserer Macht. Und das andere hat allzuviel Ähnlichkeit mit Mord."

Der Mensch mag in seinem Streben, Welten zu überwinden zu enormen physischen Schritten in der Lage sein, und in einer Welt ohne Erde mag Leben möglich sein, allein ist es dann nicht das Leben als Mensch. Wie bereits gesagt kann die Entdeckung ‚unendlicher Weiten' nur als die unendliche Ausdehnung des Prinzips Erde gedacht werden. Und deshalb ist das Buch Solaris auch so etwas wie die Konfrontation mit der Situation des Entrissenseins von der Erde.
Dann nämlich, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Vorstellung von Leben zumindest vorerst in einer fremden Welt zu re-territorialisieren, wenn eine Idee oder Möglichkeit von Territorialisierung zur Unmöglichkeit wird, droht der Mensch im Alptraum unterzugehen. Und wenn er sich in diesem Alptraum als eine Projektionsfläche einer fremden Intelligenz erfährt, droht er vollends sein Leben zu verlieren:

- Halluzinationen?
- Nein. Das ist - real. Nicht ... attackieren. Denk daran.
- Was sagst du da?! ...
- Wir sind nicht auf der Erde.
- Polytheria? Aber die sind überhaupt nicht menschenähnlich! ...
- Deshalb ist es eben so furchtbar - sagte er leise. - Denk daran: nimm dich in acht!

Das Scheitern der Re-Territorialisierung ist in Solaris das Auftauchen von klischeehaften Paradiesszenen oder von gestorbenen Personen - auch hier liegt die Betonung darauf, dass es stets Vorstellungen sind, die von der Erde stammen. Die Menschen auf der Station werden nicht in die Welt des Wesens auf diesem Planeten eingeführt, der Mensch wird vielmehr auf sich selbst zurückgeworfen, oder wirft sich auf der Suche Da-Draußen selbst zurück.
Oder man sagt, das Wesen übernimmt die Bewegung, das Wesen seziert die menschliche Psyche und entnimmt ihr Vorstellungen, um sie anschließend materialisiert erscheinen zu lassen. Deshalb sind die Halluzinationen nicht nur das, sondern auch real. Die Bewegung der (De)Territorialiserung bringt der Mensch selbst mit, aber diese Bewegung wird durch das Ozean-Wesen umgelenkt, gespiegelt, wie durch ein Kristall geführt, aus dessen anderer Seite materialisierte Phantasie entspringt. Aber es sind eben leider keine Phantasien, keine vom Menschen konstruierten Gebilde, sondern die mit schlimmsten Erinnerungen verbundenen Personen aus der Vergangenheit -durch das Ozean-Wesen konstruiert.

Weil es nicht möglich ist, das Ozean-Wesen unter eigene Vorstellungen zu bringen, weil es nicht gelingt, dieses Wesen (als absolute Kontingenz gedacht) zu de-territorialisieren, um zum Beispiel ‚Kontakt' aufzunehmen, entgleitet den Menschen ihr eigenes Leben, ihr eigenes Ich. Oder man müsste besser sagen, dass die eigentliche Agonie im Widerstand gegen eine De-Territorialisierung eigener (geistiger) Territorien durch das Wesen besteht. Wenn es gelingt das Ozean-Wesen daran zu hindern, dem Menschen Vorstellungen zu entnehmen, um sie dann erscheinen zu lassen, dann ist Untergang verhindert worden. Diese Materialisierung zu verhindern gelingt in Solaris - vorerst:

"Hoffnung hatte ich nicht. Aber in mir lebte das letzte, was mir davon noch geblieben war: Erwartung. Auf welche Erfüllung, welchen Spott, welche Qualen war ich noch gefaßt? Ich wußte nichts, und so verharrte ich im unerschütterlichen Glauben, die Zeit der grausamen Wunder sei noch nicht um."

 

Dresden, April 2002

 

Anmerkungen:

 (1) Dabei könnten beide Film gegensätzlicher nicht sein. Dieser Gegensatz ergibt sich sicher nicht aus der Handlung allein, denn wer weiß schon zu sagen, ob die Odyssee bei Kubrick gut oder schlecht ausgeht (wahrscheinlich operiert er sowieso jenseits dieser Kategorien). Es ist die Ästhetik, die beide Filme unterscheidet: in der Odyssee werden wir mit familiären Gesprächen russischer und amerikanischer Forscher in einer High-Tech-Umgebung konfontiert, wohingegen die Station auf Solaris und das Sozialverhalten deren Bewohner eher an Fünf-vor-Zwölf erinnert.
Tarkowski setzt die Verbindung und die Gebundenheit der Menschen an die Erde in den Vordergrund).

 (2) Synomym für das unbeschreibbare Ozean-Wesen A.d.R.


Robert Seyfert: rseyfert@germe.de

 

© 2002   das gefrorene meer - la mer gelée