Nummer 2 - Territorium |
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"Und es sind nicht nur die äußeren Feinde, die mich bedrohen. Es gibt auch solche im Inneren …"
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"Nicht um am Ziel zugrundezugehen kam
ich von so weit hergeflogen." Ich möchte Lems Text aus der Sichtweise lesen,
dass der Mensch notwendigerweise in einen Todeskampf (agonie) gerät, sobald
er nicht mehr in der Lage ist sich zu territorialisieren, d.h. spezifisch
menschliche (oder erdähnliche) Lebensstrukturen in einer ‚fremden Welt'
wiederfinden oder wiedereinführen. Das betrifft dabei nicht biologische,
physische oder sonstwie geartete ‚natürliche' Bedingungen. Die tatsächliche Entdeckung eines unbekannten
Kosmos bleibt eine Illusion, denn entweder gelingt es uns, den fremden
Kosmos auf unsere Art neu zu territorialisieren - nach dem eigenen Erdenmaß
- oder es gelingt nicht und wir kommen erfolglos zurück Es gibt allerdings
noch eine dritte Möglichkeit, nämlich, dass der andere Kosmos selbst zu
einer Territorialisierungsbewegung imstande ist. Das manifestiert sich
uns dann als unser eigener Todeskampf - die beständige ‚Agonie' in Stanislaw
Lems ‚Solaris'. Meist wird mit dem Wesen auf dem Planeten in ‚Solaris' auch Gott assoziiert. Und selbst eine Deutung ohne diese Gottheit, impliziert dann eine schöpferische Kraft des Menschen, die stets wieder auf die Erdverbundenheit verweist. Stanislaw Lem lässt dann in seinem Roman das Wort ‚Spiegel' oder ‚Verstärker' auftauchen, um darauf zu verweisen, dass die externe Manipulation durch den Ozean durchaus auch menschliche Phantasmen sein könnten. Das Ozean-Wesen als übermächtige Kraft, die die Kontrolle über den Menschen übernommen hat, oder als zufällige Feedbackschleife menschlicher Psyche, in der sich der Mensch nun selber immer wieder begegnet. " ... ein Dilemma, das wir nicht zu lösen verstehen. Wir stellen uns selbst nach. Die Polytheria(2) haben nur etwas wie einen selektiven Verstärker unserer Gedanken angewendet. Nach einer Motivierung für dieses Phänomen zu suchen, ist ein Anthropomorphismus. Wo es keine Menschen gibt, dort gibt es auch keine menschlich faßbaren Motive. Um im Forschungsplan fortzufahren, müßten wir entweder die eigenen Gedanken vernichten, oder deren materielle Verkörperung. Das eine liegt nicht in unserer Macht. Und das andere hat allzuviel Ähnlichkeit mit Mord."
Der Mensch mag in seinem Streben, Welten
zu überwinden zu enormen physischen Schritten in der Lage sein, und in
einer Welt ohne Erde mag Leben möglich sein, allein ist es dann nicht
das Leben als Mensch. Wie bereits gesagt kann die Entdeckung ‚unendlicher
Weiten' nur als die unendliche Ausdehnung des Prinzips Erde gedacht werden.
Und deshalb ist das Buch Solaris auch so etwas wie die Konfrontation mit
der Situation des Entrissenseins von der Erde. - Halluzinationen? Das Scheitern der Re-Territorialisierung
ist in Solaris das Auftauchen von klischeehaften Paradiesszenen oder von
gestorbenen Personen - auch hier liegt die Betonung darauf, dass es stets
Vorstellungen sind, die von der Erde stammen. Die Menschen auf der Station
werden nicht in die Welt des Wesens auf diesem Planeten eingeführt, der
Mensch wird vielmehr auf sich selbst zurückgeworfen, oder wirft sich auf
der Suche Da-Draußen selbst zurück. Weil es nicht möglich ist, das Ozean-Wesen unter eigene Vorstellungen zu bringen, weil es nicht gelingt, dieses Wesen (als absolute Kontingenz gedacht) zu de-territorialisieren, um zum Beispiel ‚Kontakt' aufzunehmen, entgleitet den Menschen ihr eigenes Leben, ihr eigenes Ich. Oder man müsste besser sagen, dass die eigentliche Agonie im Widerstand gegen eine De-Territorialisierung eigener (geistiger) Territorien durch das Wesen besteht. Wenn es gelingt das Ozean-Wesen daran zu hindern, dem Menschen Vorstellungen zu entnehmen, um sie dann erscheinen zu lassen, dann ist Untergang verhindert worden. Diese Materialisierung zu verhindern gelingt in Solaris - vorerst: "Hoffnung hatte ich nicht. Aber in mir lebte das letzte, was mir davon noch geblieben war: Erwartung. Auf welche Erfüllung, welchen Spott, welche Qualen war ich noch gefaßt? Ich wußte nichts, und so verharrte ich im unerschütterlichen Glauben, die Zeit der grausamen Wunder sei noch nicht um."
Dresden, April 2002
Anmerkungen: (1) Dabei könnten beide
Film gegensätzlicher nicht sein. Dieser Gegensatz ergibt sich sicher nicht
aus der Handlung allein, denn wer weiß schon zu sagen, ob die Odyssee
bei Kubrick gut oder schlecht ausgeht (wahrscheinlich operiert er sowieso
jenseits dieser Kategorien). Es ist die Ästhetik, die beide Filme unterscheidet:
in der Odyssee werden wir mit familiären Gesprächen russischer und amerikanischer
Forscher in einer High-Tech-Umgebung konfontiert, wohingegen die Station
auf Solaris und das Sozialverhalten deren Bewohner eher an Fünf-vor-Zwölf
erinnert. (2) Synomym für das unbeschreibbare Ozean-Wesen A.d.R.
Robert Seyfert: rseyfert@germe.de |
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