Nummer 2 - Territorium |
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"Liebe den Geschmack des Whiskys auf meinen
Lippen wie ich den Glanz der Verrücktheit in deinen Augen liebe …"
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Ich habe sie heute morgen wiedergesehen.
In einem bestimmten Augenblick, nach um zehn, sagen wir mal zwischen zehn
und zwölf, hat sie wirklich an meiner Tür geklingelt. Tatsächlich geklingelt.
Vorher - das unzählbare Läuten vor diesem Augenblick - sie war es nicht
ganz. Ich bin trotzdem am Badezimmer vorbeigegangen.
Das war bekannt billig-beschissen-heruntergeleiert. Aber es war in Anfang.
Mindestens. Das Treffen würde mindestens so einen Anfang haben. Ich glaube,
alle Anfänge sind unwahrscheinlich. Ich glaube, alle Anfänge sind wie
vier Sätze früher. Dann besser den, der einfach ist. Um sich nachher besser
daran zu erinnern, um wiederzufinden, um den unendlichen Stoff rühren
zu können. Die Hand in den Haaren frisiert man sich, schaut man sich an,
bemerkt man ein bisschen Schweiß in den Handflächen. Sie hatte sich seit ihrem letzten Besuch hier gar nicht geändert. Sie hatte die gleichen durch mich durch schauenden ruhigen Augen, die nie zuckten. Sie trug ein leichtes kariertes Kleid. Ich konnte hinter ihr die Treppe erblicken, meine kalte und klaffende Freundin. Wie viele Nachmittage hatte ich verbracht, ihre Tiefe zu erforschen, das Hin und Her zu erspähen, bevor ich den Flecken an der Wand neben der Lampe kennerlernte. Dem spritzig grünen auf fünfzig Zentimeter Höhe an den Wänden entlang laufenden Rand zu folgen, diesem hartnäckigen Rand, der mit Stolz schrecklich war, der den Augen sagte, die ihn noch ansahen: "Außer das Haus bricht zusammen werde ich immer da sein, auch nach Ihnen." Christine war auch wirklich da. Ihr Lächeln war auch wirklich. Kein Ausweg: ich war dran; ich konnte nichts machen. Dessen bin ich mir sicher, mindestens dessen:
ich habe kein Wort gesagt. Ich habe mich beiseite gestellt, um sie rein
zu lassen. Und das war's. Ohne meine Stimme zu hören, außer in mir selbst.
Die Tür, die ich aufdrückte, um sie rein zu lassen, klammerte sich an
mich, an meine Nieren. Plötzlich gibt es viel Licht, der Raum im Zimmer vergrößert sich. Der Tag kommt mit Fluten durch das Fenster herein. Es ist auch die Stille, die sich um uns herum erweitert. Uns umhüllt, sich erweitert. Ohne sie zu sehen, fühle ich die harte Anwesenheit der weißen Wände, blinde Handflächen die nichts verkleinern, sondern uns in der Vergrößerung des Ortes bestätigen, noch einmal zusammen zwischen denselben Wänden. Die Arme entlang dem Körper, schwer, stehe ich ihr gegenüber. Das Zimmer ist lang, das Zimmer wackelt in der Hitze. In mir fühle ich nur wenig Willen, ich bin aus mir selbst ausgezogen, Spielzeug gegensätzlicher Kräfte, trotz alledem noch stehend. Sie ist für mich da, sie ist für mich gekommen. Ich weiß sie hier, mehr als ich sie sehe. Schweiß breitet sich hinten an meinem Rücken aus. Ich lächle ihr zu ich schaue sie an, aber falsch. Wie vor kurzem bei diesen Malen als ob, bei diesen Malen vor dem letzten als ich nicht wirklich zur Tür ging, um ihr aufzumachen, als ich weder meinen Sessel, noch meinen Flecken an der Wand neben der Lampe verließ. Und jetzt, dass es das letzte Mal, und auch das Richtige ist, und sie im Zimmer, das geht nicht. Das reicht nicht. Das kann nicht reichen. Ihrem Lächeln gegenüber, das das Zimmer völlig ausfüllt, muss ich den Kopf abwenden. Die einzige wahre Sache, die ich machen kann, ist, den Kopf abzuwenden. Von der Falschheit meines Lächelns erschrocken, komme ich zum Wahren zurück, indem ich mich von ihr abwende. Ich strenge mich an, an ein anderes Lächeln zu denken, ich konzentriere mich, unbeweglich und schwer und ihr gegenüber, ein für mich mögliches und für sie wahres Lächeln, ein Lächeln für uns beide im gleichen Augenblick. Im Zimmer, solange meine Konzentration andauerte, bewegte sie sich normal. Vielleicht hatte sie mich auch vergessen, ich und meinen wer weiß wohin abgewandten Kopf. Ich beobachte sie ein bisschen. Vielleicht nicht. Ich fühlte sie - da ich sie im Zimmer so gut kannte. Ich mag vielleicht gesagt haben, dass es nicht das erste Mal war, dass sie kam, gleich als ich mich daran erinnert hatte. Ich fühlte, wie sie zum Fenster ging, sich die Hände im Badezimmer wusch, ein geöffnetes Buch auf dem Schreibtisch durchblätterte. Das mehrmals. Letzte Woche hatte ich darauf bestanden: dass sie in der Kommode meine Wäsche anschaut, langsam. Socken, Unterhosen, das hat sie diesmal nicht vergessen. Und den Rest. Sie findet immer die Details, dank derer sie weder ganz die selbe, noch eine andere ist. Dank derer sie mich liebt und mich versteht. Mich verstehen und ausmachen: sie, und das Zimmer, und jedes Mal wenn sie kommt. Dieses neue Spiel mit der vergoldeten Klinke
des Badezimmers zum Beispiel. Herrliche Erfindung.
In einer früheren Fassung erschien dieser Text im April 2001 unter dem Pseudonym Georges Malone in Nummer 8 von Ragtime (http://www.ifrance.com/ragtime/numero8.htm) Alban Lefranc: alban.lefranc@voila.fr |
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