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Nummer 1 - Das Wirkliche

 

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"Die Süßigkeit der Trauer und der Liebe. Von ihr angelächelt werden im Boot. Das war das Allerschönste. Immer nur das Verlangen zu sterben und das Sich-noch-halten, das allein ist Liebe."

Die Zukunft
Text und Übersetzung: Alban Lefranc

Spaziergang draußen im Alaunpark. Süßer Geruch der Verwesungen. Es hat den ganzen Vormittag geregnet, träge geregnet, ohne Glanz. Es wird bald noch regnen. In seiner Blässe zeigt der Himmel plötzlich Regungen, Anfänge von Farben, Zögerungen so oder so, sich ein bisschen mehr zu zeigen. Im halben zwischen den Häusern verflossenen Tag haben die Dinge doppelten Abglanz: die Dinge sind zwar da in ihrem Raumteil aber noch mehr in unserer Phantasie: dieser rosa Schein zum Beispiel, der auf der Höhe einer Zweiten Etage in einer Straße entlang dem Park schwebt, verkündet Ausschweifungen von Zartheit, die nur von unseren - in dieser weichen sich für Luft gebenden Paste - beschlagenen Augen reingebracht werden. Und Tausende beweisende Beispiele von diesen Versuchen der belebten oder unbelebten Wesen, aus ihren gewöhnlichen allzubekannten Konturen im wiedergekäuten Tag auszubrechen (in dem Sommertag sagen wir mal, wo es nur das Ding und seinen rohen Schatten gibt, und die Lust in ein Hotelzimmer mit geschlossenen Gardinen schlafen zu gehen). Ich denke an Cingria und an den niedergeschmetterten Dichter, den Michon neben ihm in seinen Drei Dichter beschreibt. Die äußerste Armut von Cingria: damit muss man anfangen, weil es naiv ist, weil es gerade romantisch ist, blauäugig, verabscheuungswürdig sentimental… Wirklich könnte man ein ganzes Leben neben diesem Park verbringen, in dem weichen Bauch der Stunden, die Stämme streicheln kommen und jeden Tag ein bisschen mehr diese ruhige Vegetation nennen, für sich, die Lippen manche richtige Adjektive murmelnd, für sich. Den Rest der Zeit würde man hauptsächlich Spaghettis essen, mit Salz und Öl manchmal, Bananen und Orangen auch, damit man nicht den Asketen spielt, dass man sich nicht zu ernst nimmt. Jedes Jahr eine kleine Reise nach Paris, genug um sie immer zu begehren, wenn man zurück ist und sie im Traum besser sehen kann, als wenn man dort leben würde (und diese Stadt ist sowieseo zu teuer). Nach und nach hätte mich die Familie vergessen. Die Freunde auch, die ich mit aller Stärke überzeugen wollte, dass ich Schriftsteller bin (meine Zeit verbringend mit dem Versuch sie zu überzeugen, mit ihnen trinkend, um sie besser zu überzeugen, Geld verdienend, um ihnen die Zeche zu bezahlen, mich unerbittlich mit Händen und Füssen ankettend, mich in einer verhassten Arbeit versklavend, um die Rechnungen, die unausweichlich hier und da blühten, zurückzubezahlen, mein Leben verlierend, es verspielend und verquatschend, mich in der immensen gesprochenen Fiktion meines Werkes rollend, anstatt eine Zeile zu schreiben, und spät in der Nacht mich wieder allein findend, mit meinem Durst und meinem kaputten Herzen, mit meinen schwirrenden Händen und verfolgten Knochen, nachdem ich am Abend meine ganze List erschöpft hatte, alle Magie-Tricks und Taschenspielereien, die mein Nichtstun vergeblich übertünchen wollten, die mein bevorstehendes unbestreitbares Werk predigen mussten, mir in meinem Zimmer bei jedem Schritt zu nahe tretend, mich an allen meinen alten verkümmerten Träumen stoßend, an den dünnen - auf großen mit altrosa-seidenen Bändern gerollten knirschenden Blättern - verpfuschten Trümmern von Erzählungen, und noch an alten im Kamin versteckten Likörflaschen trinkend, um die spottenden in meinen Hals schreienden Dämonen totzuschlagen, sie tot schlagend, mich tot schlagend, wieder wachwerdend, mich noch tot schlagend, mich mit Zügen aus alten Kippen wieder belebend, mit mir selbst und für meinen exklusiven Gebrauch die Zärtlichkeit und das Mitleid versuchend, mich sehr zu beklagenswert findend und wirklich wie in Biografien von großen Schriftstellern, in einigen Punkten der methodischen Lächerlichkeit mir sehr vergleichbar mit dem mürrischen Alkoholiker findend, der in Dublin in den Dreißigern rumlief, bevor er später Der Verwaiser schrieb, und den Mädchen nachlaufend, damit sie mich trösten und windeln, ab und zu eine von ihnen den alten unternehmerischen Geist erweckend, die Futur-Formen und die Farbe von entfernten Städten wo "wir beide hingehen werden" - es reicht!). Ich würde das Recht gewonnen haben, endlich nichts mehr zu tun, vor allem nicht mehr den Schriftsteller zu spielen, mich nicht mehr vergeblich über weißen Blättern zu krümmen. Ich würde wieder religiöse Gewohnheiten angenommen haben, durch die Einsamkeit. Sonntags würde man hören können, wie sich meine zögernde Stimme in den Chor einer lutherianischen Gemeinde mischt. Ich würde mit den anerkannten Zechern des Viertels trinken gehen. Und ab und zu (denn ich würde nur leben von Privat-Nachhilfe in Französisch) würde eine junge Schülerin akzeptieren mit mir zu schlafen, aus Neugierde. Und ohne Bitterkeit noch Schadenfreude würde ich flüstern, um den nachzuahmen, der mir das Leben mit seinen Wundern und seiner Gewandtheit versaut hatte, der mich daran gehindert hatte, eine gute Karriere als Notar ohne Hintergedanken zu führen, der in mir eine vergebliche Sehnsucht entflammt hatte: "Ich habe mein Blut gekocht. Meine Schuld ist abgetragen. Ich komme wahrhaftig von jenseits des Grabes, und ganz ohne Auftrag."

Dresden, Mai 2000
Dieser Text erschien im April 2001 unter dem Pseudonym Georges Malone in Nummer 8 von Ragtime (http://www.ifrance.com/ragtime/numero8.htm)

 

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