www.dasgefrorenemeer.de

Nummer 1 - Das Wirkliche

 

inhalt     aktuell  

zurück weiter
"Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail better."

Anmerkungen zu BECKETT - DESCARTES von Marina Barré
Robert Seyfert

Fremdbestimmung, Nicht-Verfügung über die eigene Sprache:

"Im Vergleich zu Descartes' Auffassung, in der der Prozess der Reflektion als rein gedanklich und unvermittelt erscheint, ist sich das Ich bei Beckett dessen bewusst, dass alles durch die Sprache vermittelt ist. Das Gedachte ist nicht unvermittelt gedacht, es ist in der Sprache gedacht, das heißt, innerhalb eines Systems. (…) Das Ich ist immer schon über die Sprache determiniert, demzufolge ist ihm unmöglich, sich selbst zu finden. Das, was gedacht wird, und das, was gesagt wird, decken sich nicht, sind nicht auf eine Ebene zu bringen, zwischen ihnen liegt die unüberwindbare Kluft zwischen dem Erlebten des Individuums und dem allgemein gültigen System. (…) Wenn sich bei Descartes das Ich als denkende Substanz definiert, definiert es sich bei Beckett als auf Grund seines Gefangensein in der Sprache nicht-zu-denkende-, nicht-zu-findende Substanz. (…)
Dennoch schreibt Beckett weiter, redet das Ich weiter: weil er es machen muss, als Mensch, der nur durch die Sprache lebt, und als Don Quichotte, der sich gegen die Fremdbestimmung kämpft und seine Stimme finden will."

Anmerkungen zu Beckett-Descartes (Robert Seyfert):

Hegel: "…, aber die Sprache [setzt Innerliches] als Seiendes" Durch den Namen ist also der Gegenstand als seiend aus dem Ich heraus geboren."

Wir werden zurückgeführt zu Descartes cogito: "Ich denke…", als tiefster Grund, einzigstes Fundament, das Halt bietet und Medium zur Gotteserfahrung ist (in dieser Arbeit wurde der Gottgedanke nicht thematisiert). Möchten wir nun die Verbindung Beckett und Descartes verstehen, können wir die geschichtsphilosophische Entwicklung nach Descartes bis Beckett untersuchen.
Es dürfte wohl unbestritten sein, dass das Primat des Geistes bei Descartes auf seinem absoluten Zenit stand, und nun zunehmend der Skepsis und Dekonstruktion anheimfiel. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte unbestritten die Substanz und stritt um ihre Entfaltung oder Emanation. Als dies sich nun als ein unmögliches (oder zu schwieriges) Konzept erwies wurde zuerst die Alleinherrschaft des Geistes relativiert. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht, als die Psychoanalyse Freuds unbewußte Instanzen des menschlichen Geistes aufdeckt und durch das Über-Ich quasi eine Fremdbestimmung bzw. eine strukturell unreflektierte Handlungs(de)motivation freilegt. Auf einem ähnlichem Horizont schreitet die Anthropologie, das Bewußtsein nun schon durchgehend material beschreibend.
Doch wir finden Gegenkonzepte, die dem substanzhaften Sein die Möglichkeit‚ strukturelles Versagen zu vermeiden offenhalten wollten. Denn nun wohnt Heideggers Sein im Haus der Sprache.
Bereits Hegel ließ das Ich(!) alles Seiende aus dem Geist heraus durch Namen gebären: "Dies ist die erste Schöpferkraft, die der Geist ausübt; Adam gab allen Dinge eine Namen, dies ist das Majestätsrecht und erste Besitzergreifung der ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus dem Geiste; logos…"
Aber auch danach vermag sich die Substanzenmetaphysik nicht lange zu halten, und die Sprache erhält geradezu mystische Züge, als sie sich im Strukturalismus (und bedingt auch in der Systemtheorie) als eine Metaebene überzeitlicher, ja übermenschlicher Kontexte auf die conditio humana legt. Der Mensch als Synapse im Netzwerk der Geschichte.

Und Beckett, woran schließt er an, was hält er für das schlüssige Konzept?
Marina Barré verweist auf Descartes.

Wenn Beckett den Fixpunkt des cogito aufgibt, und zugleich die Struktur der Sprache in dem sein Sein vermeindlich hängt, erkennt, was bleibt dann für das Sein? Oder, woher kann er diese Vermittlung erkennen und sie versuchen abzustoßen? Braucht er nicht ein tertium comparationis von dem er aus sein cogito als Papageiengeschwätz wahrnimmt. Denn würde er diesen vergleichenden Punkt nicht innehaben, wie könnte er denn dann erkennen, dass alles von "anderen in ihn hineingestopft ist". Es ist ja gerade die Leistung einer solchen Erkenntnis, in diesem Augenblick kein Papagei zu sein. Im Moment des Wahrnehmens seiner reinen Reproduktionstätigkeit des Nachplapperns hat sich Becketts Namenloser von seiner Papageienart getrennt. Und so muß man einen Satz: "Und es kommt unverändert wieder heraus…" in seinem paradoxalen Charakter mit dem "Ich weiß, dass ich nichts weiß" eines Sokrates vergleichen.
Aber woher nimmt der Mensch bei Beckett die Fähigkeit zu dieser Erkenntnis; doch wohl sicher nicht aus dem sprachlich vermittelten Bewußtsein? Kann man sich diesen Erkenntnisprozess etwa als unendliche Reihe immer wieder vollzogener Negationen vorstellen, die nur aus der Zeitlichkeit des Menschen heraus zu verstehen, und damit sehr wohl sprachlich vermittelter Bewußstseinsakt ist? Der Mensch, in den Regress zum Tode gezwungen; Hegels schlechte Unendlichkeit, das Etcetera?
Oder besser systemtheoretisch, bzw. strukturtheoretisch denken, denn hier ist ja ein Denken und ein Leben ohne festen Grund, ohne eine Substanz möglich. In einer völlig chaotischen Umwelt, hält sich der Mensch sozusagen selbst, indem er ein Netz oder ein Geflecht sich selbst abstützender Punkte schafft bzw. in es geschaffen wird. Es sind also selbsthaltende Systeme.
Dieser Gedanke kann uns dann zu Beckett führen, nun ist vielleicht vorstellbar, wie ein Mensch sich in einem Netzwerk (oder ist hier Netz das richtige Wort?) selber jagt. Immer wenn die Figur Becketts sich befragt, sich hinterfragt befindet sie sich bereits am andern Ort. So weit passt das alles gut, aber was meint Beckett, wenn er im ewigen Regreß immer wieder das SEIN ansprechen läßt: "Und wenn es eines Tages an diesem Ort, wo es keine Tage gibt, der kein Ort ist, hervorgegangen aus der unmöglichen Stimme das nicht zu machende Sein gäbe und einen Beginn von Tageslicht, so wäre alles still und leer und schwarz wie jetzt, wie bald, wenn alles zu Ende, alles gesagt sein wird, sagt sie, murmelt sie [die Stimme, A.d.R.]." Ist das dann eine Parodie (des letzten Menschen?) auf alte idealistische Zeiten? Oder haben Becketts Gestalten dann immer noch nicht verstanden, dass das Wort SEIN nicht auch ein Teil jenes Papageiengeschwätzes ist?

Dresden, Oktober-Dezember 2001

 

© 2002   das gefrorene meer - la mer gelée