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Georg Simmel, Verdopplung und Multiplizierung
Robert Seyfert, Fotos: Nicolas Jambin

1900, und die symbolisch Verdopplung

Georg Simmel hat in seinem 1900 erschienen Buch, Philosophie des Geldes, auf den grundlegend symbolisch-abstrakten Zug des Geldes hingewiesen. Er hat dem Marxschen Entfremdungstheorem damit auch eine Theorie gegenübergestellt (oder diese ergänzt), die ihre Pointe gerade darin hat, durch Geld, als symbolischen Ausdruck, die zunehmende Abstraktionsfähigkeit einer Gesellschaft zu bestimmen: Wer Geld benutzt, abstrahiert von Inhalten und operiert mit bloßer Form. Da in der Gegenwart jeder mit Geld zu operieren weiß, kann Geld als Indikator für die gesteigerte Abstraktionsfähigkeit aller Menschen genommen werden. Am schärfsten sind wohl Simmels Analysen hinsichtlich der Symbolhaftigkeit des Geldes, und des religiösen Verhältnis der Menschen zu diesem.

Die Symbolhaftigkeit gewinnt das Geld historisch beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Und hier ist es vor allem die Kreditwirtschaft, die diese Umwertung vornimmt. Während im Mittelalter das Geld in sich selbst die Substanz der Dinge beinhaltete, und dadurch der Funktionswert des Geldes als Produktivkraft weitgehend unbeachtet blieb, wandelt sich in der Neuzeit dieses Verständnis grundlegend, indem nun hauptsächlich die Wirkung des Geldes, sein Funktionswert, Aufmerksamkeit fand. Während also im Mittelalter die Produktivkraft des Geldes, seine funktionale Wirkung, minimal war, der Substanzcharakter jedoch maximal, gilt der Neuzeit das Geld fast vollständig als Wirkung - die Substanz desselben erreicht ein Minimum. Dies geht notwendig mit gewissen politischen Entwicklungen einher, da das Abnehmen an Substanz, und damit die direkte Versicherung des Wertes durch die konkrete Münze, durch eine andere Versicherung ersetzt werden muss. Hier kann Simmel nun jenen Dreh vollziehen, der dem Geld jenseits jeder nur ökonomischen Deutung, eine gewisse Symbolhaftigkeit oder ideologische Vorraussetzung nachweisen kann:

"Die manchmal auftretende Vorstellung, daß die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch bloße Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeutsamen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als bloße Idee.
Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend, und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psychologischen Vertretung volle Wirkungen zustande bringt; hier ist es wirklich als der "unbewegte Beweger" zu bezeichnen.
Nun liegt es auf der Hand, daß diese Wirkung des Geldes als bloßer Potenzialität von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation überhaupt abhängt.
Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch, träge sind, da wird nicht nur bloß gegen bar verkauft, sondern auch das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch die hin es wirken kann."


Mit anderen Worten: erst mit der Vollentwicklung einer staatlichen Notenbank öffnet sich die Möglichkeit Geld zum Symbol werden zu lassen, das seine Vertrauensseligkeit aus der puren Präsenz des Staates gewinnt. Wenn Marx gesagt hat, dass das Geld sich als Medium zwischen die Waren schiebt, dann würde Simmel ergänzen, und damit schiebt sich ebenfalls die soziale Gesamtheit dazwischen. Das Geld selbst ist eine Anweisung auf die Gesellschaft, das heißt die letztere übernimmt die Verbindlichkeit, die nun wieder selber zwei Vorraussetzungen erfüllen muss: einmal das Vertrauen in die ausgebende Instanz (Regierung, Bank, etc.), die den Nominalwert gegenüber dem Realwert bestimmt, und ein zweites mal der Glaube, dass das erhaltene Geld später, zum selben Wert Absatz finden wird.
Man wird sagen, dieser Glaube habe prinzipielle Gültigkeit, da z.B. selbst ein Bauer beim Auswurf von Samen daran ‚glaubt', dass diese Samen Früchte hervorbringen werden. Das ökonomische Wirtschaften unterscheidet sich von solchem Vertrauen jedoch durch religiöse Züge: Gott findet seine Entsprechung in der Ökonomie im Glauben an die Gesellschaft:

"Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger tut dies jenes Vertrauen auf die Allgemeinheit, daß sie uns für die symbolischen Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben, die konkreten Gegenwerte gewähren wird."
Vor dieser Perspektive muss man dann feststellen, dass es die Sicherheit des Geldes ist, die seinen Wert bildet, und dass diese historisch vom Metall zur politischen Zentralgewalt übergangen ist; letztendlich ist die Funktion der Substanz (des Metalls) ganz ohne die Substanz, bloß als symbolischer Träger der reinen Funktion, möglich.

Nun ist aber nicht das Symbol-Werden des Geldes selbst der eigentliche Clou der Sache, sondern die damit einhergehende Verdopplung des Geldes, oder um es genauer zu sagen, die Verdopplung seiner Wirksamkeit - denn die Substanz selbst vergrößert sich ja nicht. Jedes Finanzmarktinstrument der modernen Börsen erreicht die ‚virtuelle' Vergrößerung des Geldes nur durch diesen Vorgang. Er lässt sich am Kredit verdeutlichen: der Geldbetrag existiert einmal als Außenstand in den Büchern des Verleihers, und ein andermal in den Händen des Entleihers:

"Als Forderung gehört es in den Vermögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser Stelle vorhanden ist, doch an ihr äußerst wirksam; andrerseits, obgleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers befindet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen üben, als ob das der Fall wäre."

2000, und die imaginäre Multiplizierung

Hier lassen sich in der Simmelschen Analyse nun mehrere Charakteristika des Finanzinstituts Bank entfalten. Zum einen sahen wir, wie das Bargeld seine symbolische Kraft, seine Idee, durch die Goldreserven in den Kellern der Banken gewinnt. Die Bank verwaltet den ‚unbewegten Beweger' in seinen Kellern, und sorgt dafür, dass diese ‚reine Potentialität' nicht in fremde Hände fällt. Von dieser Seite könnte man das Bargeld (Scheine, und geprägte Münzen) geradezu als die Kopie ansehen, die verteilt wird, damit dem ‚Original' nichts zustößt, oder weil man es schlicht nicht in anderen Händen sehen will.
Zum anderen sahen wir, wie aber gerade die Ersetzung des Substanzwertes durch seinen Funktionswert eine Verdopplung des Geldes ermöglichte. Denn nur dadurch, dass der Wert von der materiellen Substanz zu einer Funktion verschoben wurde, die auch symbolisch erfüllbar ist, wird eine scheinbare Vergrößerung der Geldsumme ermöglicht.
Simmel konnte zeigen, wie durch die Ersetzung der materialen Substanz des Geldes durch sein Symbol, eine einfache Verdopplung des Geldwertes zustande gebracht werden konnte. Jedoch sind die Grenzen dieser symbolischen Repräsentation hinsichtlich der Geldsteigerung sehr schnell einsichtig, denn es sind eben immer nur einfache Verdopplungen möglich: ein Verleiher leiht einem Entleiher eine Summe Geldes, die dieser nun weiter verleiht - das ist die einfache Funktion einer Bank, die sowohl Ver-und Entleiher zum selben Zeitpunkt ist. Nun könnte dieses Geld, das von jemandem geliehen worden ist, der es selber auch nur geliehen hat, weiterverliehen werden, usw. Einfache Iterationen, schlechte Unendlichkeit. Ein qualitativer Sprung in der Geldvermehrung ist so nicht möglich. Und das liegt an der Symbolhaftigkeit des Geldes selbst, welches immer noch, materiell oder psychologisch, eine Verbindung zu seiner Substanz besitzt. Ein Symbol symbolisiert eben immer ‚etwas'. Der Sprung in die grenzenlose Geldvermehrung oder -entwertung, in die Multiplizierfähigkeit des Geldes wurde erst möglich, nachdem der Finanzkapitalismus diese Symbolhaftigkeit durch Imagination aufzulösen imstande war.

Simmels Analysen hatten den Nachteil, die Beziehung von Waren und Geld als ein Verhältnis relativer Quanten zu beschreiben. Dies bietet zwar die Möglichkeit die umlaufende Geldmenge nicht-substantialistisch betrachten zu können - diese eben immer zum umlaufenden Warenquantum relativ setzen zu können - jedoch bindet dies das Geldquantum an einen faktischen Warenbestand. Ein Verhältnis relativer Quanten setzt eben immer zuerst Quanten, die zwar schwanken können, aber zu jedem Zeitpunkt vorhanden sein müssen, voraus. Horrende Geldvermehrung innerhalb von Tagen, und deren Entwertung innerhalb von Stunden, wie sie heute an den Weltbörsen möglich sind, lassen sich damit nicht bewerkstelligen. Dazu bedarf es der Loslösung von der Symbolhaftigkeit. Das geschieht dadurch, dass, wie Simmel schon richtig erkannt hat, die Währungen einerseits von den Goldreserven abgekoppelt werden, und beispielweise an das Jahresbruttosozialprodukte gebunden werden, und zur gleichen Zeit der Währungsraum ausgedehnt wird. Das Ankoppeln an ein Bruttosozialprodukt löst das Geld entgültig von seiner Substanz, sodass diese auch nicht mal mehr symbolhaft über die Goldreserven zu einer Substanz vermittelt wird - es ist jetzt reine Imagination. Da die Sicherheit des Geldes jetzt ausschließlich von der Gesamtheit der Währungsnutzer geleistet wird, bietet eine größere Gesamtheit auch eine höhere Sicherheit.

Das Vertrauen steigt je mehr von einer Währung Verwendung findet. Die Finanzkrisen in den letzten Jahren lassen sich von hier aus in erster Linie als einen Zusammenbruch des Vertrauens in die jeweilige Währung lesen. Da Währungen selbst Waren sind, setzen sie sich selbst der Gefahr aus auf dem internationalen Markt als ‚unsicher' zu gelten, und dort nicht vertrauenswürdig zu sein oder Opfer eines Pokerspiels zu werden. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob die Bevölkerung, die das Geld tatsächlich im täglichen Leben nutzt, der Währung vertraut oder nicht: das Vertrauen wurde wo anders verspielt. Dem wirkt man am besten damit entgegen, dass man groß genug ist: Größe schafft immer Vertrauen (resp. Respekt). Aus dieser Perspektive zeigt sich das Projekt ‚Europäische Union' wiedereinmal als ein primär ökonomisches, nämlich als eine ökonomische Abwehrstrategie, um sich den Währungsmanipulationen, vor allem im Umkreis des Dollar Währungsraumes, zur Wehr zu setzen: die EU ist vor allem eine enorme Vergrößerung des (oder Neuschaffung eines) Währungsraums.

Im Anschluss an die Analysen Simmels von 1900, welcher die Symbolhaftigkeit des Geldes aufgezeigt hatte, sollte hier einhundert Jahre später gezeigt werden, inwiefern Simmels These von der zunehmenden Abstraktheit der Gesellschaft immer noch zu recht besteht, und in welche Richtung seine Analysen heute entfaltbar sind. Der Grundzug des Hochkapitalismus zu Anfang des 21.Jahrhunderts ist der Übergang von der Symbolhaftigkeit zur Imagination. Mit Hilfe der Imagination wurde zugleich ein qualitativer Sprung in der Geldvermehrung erreicht, der ohne Zweifel auch einen qualitativen Sprung im Funktionswert des Geldes ermöglichte.

Dresden, 2004

Robert Seyfert: über den Autor

 

   
das gefrorene meer - la mer gelée