das gefrorene meer, jahrgang 2008
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Vaters Fischliebe zu Adam

Samia Guemei
Meine Ellbogen klemmten rhythmisch den Teller ein und gaben ihn wieder frei. Adam schlug Gabel und Messer gegeneinander. Ich hielt mir die Ohren zu. In der halbtransparenten azurblauen Schüssel dampfte Vollkornreis, in Zwiebeln geröstet. Fischreis. Adam legte das Besteck blitzschnell rechts und links neben den Teller zurück. Er lachte. Ich liess die Hände auf den Schoss fallen. Vater.

Die Mutter gab aus, der Vater ass. Ich tätschelte mit der Gabel über das Auf und Ab des Fischleibs. Leicht gewölbter Bauch, schmal auslaufend zu den Flossen hin. Die Haut silbrig glänzend, am Schwanz ledrig, faserfein über den Rippenbogen. Die Hülle zerriss, weisses Fischfleisch blinkte hervor. Weich, zart, schmelzend. Ich blickte zum Vater. Sein Mund walzte, schon wartete die Gabel mit dem nächsten Hub. Ich führte eine Gabelspitze Fisch an meine Lippen, öffnete den Mund einen Spalt breit. Ich schloss die Augen, wünschte mir, der Fisch wäre mir bei diesem Biss gnädig. Nur diesen Bissen gewähre mir! Doch kaum im Gaumen, verklumpten sich Gräte und Fleisch zum stachligen Brei. Das Harte vom Weichen ungeschieden. Das Gute ins Töpfchen, das Schlechte ins Kröpfchen. Den Kopf vorbeugen, Mund auf, mit der Zunge alles in den Teller zurückschieben, den Rest ausspucken, in der Stoffserviette versenken. Mein Vater sah zu mir herüber. Mein Fisch fast unversehrt, seiner ausgeschabt. Meine Augen tränten. Spucken verboten.

"Du isst den Fisch, Daliah, du weißt genau, dass du den Fisch fertig essen wirst!"

Der Vater, ein Fischverwerter. Seine Zunge stiess mit Kraft durch den Fischbissen im Mund und bugsierte die Gräte heraus. Sie klebten an den Lippen, er klaubte sie ab, mit Daumen und Zeigefinger. Ich sah gebannt zu. Wieder sah er zu mir. Ich würgte, mein Kopf vorgebeugt.
"Papi, lag der Fisch im Schnee, dass er so weiss wurde?"
Vater tätschelte Adams Kopf mit der Handkante. "Ja, Adam, so ist es. Fisch gedeiht im Schnee am besten. Deshalb ist er so gesund. Und teuer!" Er nahm mich ins Visier.
Adam zupfte winzige Stückchen vom Fischleib und schleckte sie von den Fingern.
"Gell, Papi, Fisch ist gut?" Adam streifte Fischhaut auf seinem Lätzchen ab. Jeden Tag erhielt Adam ein frisches, weisses Lätzchen. Die Mutter bügelte sie, sie strahlten rein.

Seine Fingerchen steckten im Fischrücken. Er hob einen Streifen Fischfleisch auf. Zwei oder drei Gräten lagen blank, schimmerten elfenbeinweiss.
Ich schluckte den Brei. Ich hustete. Meine Hände auf den Knien. Mein Kopf knapp oberhalb des Tellers. Ich wich zurück. Der Fisch stank.
"Du weißt, Daliah, du verlässt den Tisch erst, wenn du den Fisch fertig gegessen hast! Mit Gabel und Messer!"
Adam wand wie der Vater die Fischgräte mit öliger Geschliffenheit aus seinem Mund. Manchmal ein Einhalten, ein Schlucken, dann suchte er den Blick des Vaters, lächelte, schleckte weiter und legte auf seinem Teller Gräte um Gräte bloss.
Ich strebte ihm nach, schloss einen Bund mit dem so still und starr in meinem Teller ruhenden Kadaver, stach Stücke ab, vermengte sie mit dem duftenden Reis, mogelte alles an der Zunge vorbei. Im Hals aber das feine Stechen. Ich würgte. Der Bissen landete wieder in meinem Mund. Ich hustete. Meine rechte Hand schoss vor. Der Blick meines Vaters riss sie hinunter.
"Daliah, wie isst du! Ich kann es nicht fassen! Nimm dir ein Beispiel an Adam!" Der Vater stand auf. Sieben Skelette auf dem Teller. Er beugte sich vor, küsste Adam auf die über und über mit Fisch verschmierte Stirn.
Ich senkte den Blick, barg Mund und Nase in meine Hände. Meine Ellbogen klemmten rhythmisch den Teller ein und liessen ihn wieder frei.



Samia Guemei: über die Autorin